Workshop Familien 2022

Der 13. Workshop für Familien fand vom 05.08.2022 – 08.08.2022 in der Jugendherberge Bad Urach statt.

Erlebnispädagogik orientiert sich an der Gegenwart. Durch Gruppenerfahrungen in der Natur lassen sich die eigenen Stärken kennen lernen und die persönliche Kreativität entdecken. In Erinnerung bleiben auch das eine oder andere kleine Abenteuer. Erlebnispädagogik kann auch ein wichtiges Thema für Familien mit Kindern mit Tourette-Syndrom sein. Der dreizehnte Workshop für Familien des IVTS fand diesmal in der Jugendherberge Bad Urach statt. Mit mehr als 40 Teilnehmern war der Familienworkshop 2022 wieder gut besucht.

Familien

Ein erstes Kennenlernen

Gegen elf Uhr am Vormittag sammelten sich die ersten Teilnehmer auf dem Gelände der Jugendherberge. Darunter einige alt bekannte Gesichter, die sich über das Wiedersehen freuten, aber auch sehr viele neue Familien, die erstmals am Familienworkshop teilnahmen. Bereits zum Mittagessen gab es den ersten Austausch der Familien und die „Newcomer“ waren schnell in die Gemeinschaft der tourettebetroffenen Familien integriert.

Kennenlernspiele und Bewegung

Nach dem Mittagessen standen auch schon die ersten erlebnispädagogischen Programmpunkte für die ganze Familie auf dem Plan. Hierfür konnten wieder die Erlebnispädagogen des N.E.W. Institut gewonnen werden. In Persona standen uns dieses Jahr Marvin Baierl und Alina Fritz zur Seite. Bei traumhaft sommerlichen Temperaturen wurden die Bewegungsspiele an einem schattigen Plätzchen im Wald durchgeführt. In der Wünscherunde wurden die Vorstellungen an den Workshop aufgenommen, der „Kuhstall“ brachte die Familien in Fahrt und das anschließende Bauen einer Murmelbahn rundete das Kennenlernen ab.

Bogenschießen und Henna

Die Teilnehmer hatten am Samstagvormittag die Möglichkeit, die Faszination des Bogenschießens zu entdecken. Das Wechselspiel von Anspannung und Entspannung bringt sehr viel Positives für Körper, Geist und Seele. Natürlich flogen auch ein paar Pfeile an der Zielscheibe vorbei, doch jeder hatte auch Erfolgserlebnisse mit Treffern.

Henna Tattoos malen ist nicht nur etwas für Mädchen. Diese Verzierung auf der Haut hält zwar nicht ewig, sieht aber einem echten Tattoo durchaus zum Verwechseln ähnlich.

Elternarbeit mit Frau Dr. Katrin Woitecki

Zusammenfassung von Dr. Woitecki: Nach einer kurzen Vorstellungsrunde und einer Sammlung der Anliegen aus der Elternrunde wurde als erstes eine Einordnung der Diagnose Tourette-Syndrom in das Klassifikationssystem ICD-10 vorgenommen. Hierbei wurde erläutert, welche Aspekte für eine Diagnosestellung sinnvoll sind. Daran anschließend haben wir uns der Frage der Psychoedukation gestellt. Ein besonderes Augenmerk galt hierbei den Überlegungen, was Kinder und Jugendliche selbst sagen könnten. Auch wurde überlegt, dass besonders die begriffliche Bedeutung eines Tics, was dieser ist und wie dieser entsteht in den Vordergrund gerückt werden sollte. Wichtig ist auch, dass der Tic per se erst einmal unwillkürlich und unkontrollierbar für den Betroffenen auftritt. Eine Aufklärung auch in der Schule bei Mitschülern*innen sowie Lehrkräften ist sicherlich vor allem bei Tics, die in der Schule auftreten sinnvoll. Zusätzlich Unterstützung durch die Selbsthilfegruppe ist möglich. Eine Abwägung, wer wann über die Tics informiert werden sollte, muss jede Familie für sich treffen. Eine gute Zusammenarbeit mit der Schule kann jedoch helfen, individuelle Lösungen für die Betroffenen zu finden.

Insgesamt zeigte sich ein sehr hohes Engagement der Eltern, die immer wieder bemüht sind, sich flexibel auf neue Tic-Situationen einzustellen. Dies erfordert von allen Beteiligten sehr viel Kraft, v.a. auch, immer wieder positive Aspekte zu finden und mit diesen nach vorne zu schauen. Der eigene Umgang mit den Tics und auch der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen wurde diskutiert und es wurde angeregt, das Gespräch den Betroffenen gegenüber immer wieder anzubieten. Als Eltern selbst die eigenen Unsicherheiten gegenüber den Kindern und Jugendlichen in Bezug auf den Umgang mit ihren Tics zu äußern, kann auch die Chance geben, einen gemeinsamen Weg in der Bewältigung zu finden. Nicht immer ist es als Außenstehender leicht zu erkennen, ist das gezeigte Verhalten nun ein Tic, oder ist es vielleicht auch etwas anderes.

Die Abgrenzung Tic, Zwang, funktionale Tics wurde in diesem Zusammenhang erläutert, um selbst einzelne Symptome besser einordnen zu können. Das Thema Erziehung und Tourette klang zwar als großes Thema, jedoch sollten generell Erziehungsstrategien und Ansätze für Tic betroffene Kinder und Jugendliche genau so gelten wie für nicht betroffene Kinder und Jugendliche. Bezüglich auftretender Wutanfälle müssen diese im ersten Schritt eingeordnet und in weiteren Schritten begleitet werden. Hierzu wurden gemeinsam im Plenum Überlegungen angestellt.

Am nächsten Tag wurde der Fokus besonders auf Behandlungsansätze gelegt. Da sich die Tics häufig bei Betroffenen negativ auf das Selbstbewusstsein auswirken, wurden gemeinsam Überlegungen zusammengetragen, dieses durch die Eltern zusätzlich zu stärken. In Zeiten von Tic intensiven Zeiten besteht immer wieder die Gefahr, dass der Fokus sehr auf den Tics liegt. Gerade in solchen Zeiten ist es daher wichtig, den Kindern und Jugendlichen gezielt, z.B. abends beim zu Bett gehen oder aber auch tagsüber zu sagen, was man als Eltern an seinem Kind schätzt, worauf man stolz ist und was es gut kann.

Als in Studien belegte Behandlungsmethoden haben sich Verhaltenstherapie, hierbei insbesondere das Habit Reversal Training (Training der Gegenbewegung) sowie Medikation bewährt. Realistisches Therapieziel ist eine Minderung der Tic-Symptomatik und somit einer Abflachung des zumeist sehr fluktuierenden wellenförmigen Verlaufs. Grundsätzlich wird im Rahmen einer Verhaltenstherapie die Themen genauere Exploration der Tics, gemeinsames Erstellen eines Störungskonzeptes, Stärkung von Ressourcen, Psychoedukation und Umgang mit den Tics behandelt. Als symptomspezifische Intervention kann darüber hinaus das Habit Reversal Training mit den Bestandteilen: Selbstwahrnehmungstraining und Training inkompatibler Bewegungen eingesetzt werden. Die einzelnen Komponenten wurden genauer vorgestellt und exemplarisch erläutert. Im Rahmen von Medikation werden im Ticbereich primär Medikamente eingesetzt, die in den Dopaminhaushalt eingreifen.

Massagen können durch Tics entstandene Schmerzen und Verspannungen helfen zu lösen und somit zu einer Linderung körperlicher Beschwerden helfen.

Insgesamt konnten viele verschiedene Aspekte thematisiert werden und ein reger und produktiver Austausch fand statt.

Nachtaktion Lichterreise

Mitten im Wald, bei Dunkelheit lassen sich mit den Erlebnispädagogen vom N.E.W. Institut Mainz Spannende Sachen erleben. Es braucht Mut und Phantasie und die Kinder berichten regelmäßig sehr stolz und zufrieden, wenn sie zu den Eltern zurückkehren.

Wettbewerbe am Sonntag

Der Sonntag begann mit einem gemeinsamen Frühstück. Und dann trennten sich die Gruppen: Die Eltern konnten ihren Erfahrungsaustausch in der Elternrunde weiter vertiefen, während die Kinder bei Spielen wie „Kotzendes Känguru Pantomime“, „Pferderennen“, „Alsaka Baseball“ und „Wo ist Cuck“ ihren Spaß. Danach gab es die „60-min Wette“, immer ein sehr aufregendes Spiel. Eine ganze Liste an Aufgaben wird dabei abgearbeitet, zum Teil von einzelnen Kindern, von kleinen Gruppen oder sogar von der ganzen Gruppe – und das insgesamt in weniger als 60 Minuten. So mussten zum Beispiel Outfits gefunden werden, allen Mädchen Zöpfe geflochten oder die Nägel werden. Für die Gruppe ist es eine tolle Erfahrung, wenn alle Aufgaben tatsächlich in 60 Minuten bewältigt werden konnten.

Abschied nehmen

Am Sonntag wurde nach dem Abendessen eine lockere Feedbackrunde durchgeführt. Schon am Montagmittag hieß es Abschied nehmen. Die Zeit war wieder schnell verflogen. Kontaktdaten wurden getauscht.  Der Familienworkshop des IVTS war zu Ende. Doch genau an diesem Punkt beginnt auch schon wieder die Vorfreude auf den Workshop im nächsten Jahr.


Das Projekt wird im Rahmen der Selbsthilfeförderung durch die „GKV-Gemeinschaftsförderung Selbsthilfe auf Bundesebene“ unterstützt.

Wir bedanken uns für diese wertvolle Förderung!