Steuerung der inneren Verbalisierung und Gilles de la Tourette-Syndrom

Unter innerer Verbalisierung oder «inner speech» versteht man die kleine Stimme im Kopf, die die Aktivitäten des täglichen Lebens kommentiert. In gewisser Weise wurden Störungen der inneren Verbalisierung bei auditiven Halluzinationen als relevant angesehen. Außerdem scheint sie bei unkontrollierten verbalen Lautäußerungen (Koprolalie) , wie man sie beim Tourette-Syndrom findet eine Rolle zu spielen.

In einem früheren Artikel berichteten die Autoren von einem Patienten mit frontotemporaler Demens, der nicht in der Lage war, leise zu lesen. Später, im Verlauf der Krankheit zeigte der Patienten ein schweres Frontallappen-Syndrom mit zwanghaften Aktivitäten und Koprolalie. Die Autoren gehen davon aus, dass die Unfähigkeit, leise zu lesen einem Verlust der Steuerung verbaler Lautäußerungen der inneren Verbalisierung gleichkommt.

Im vorliegenden Bericht wird ein Verlust der Kontrolle der inneren Verbalisierung bei zwei Fällen mit Tourette Syndrom und Koprolalie angenommen. Zwei erwachsene Tourette Syndrom-Patienten, bei denen die Diagnose im Alter von 7 und 10 Jahren gestellt wurde, wurden gebeten, sich bezüglich ihrer Fähigkeit zum leisen Lesen zu äußern. Der erste hatte in seiner Kindheit nie leise gelesen während der zweite leise gelesen hatte aber mit der Tendenz, die Lippen zu bewegen. Die Häufigkeit der Schwierigkeit, leise zu lesen scheint eine Funktion des Alters zu sein, bei der man dies beobachtet.

Man geht davon aus, dass leises Lesen eine Herausforderung der Kontrolle der inneren Verbalisierung darstellt. Diese ist in unterschiedlichen Stadien der Krankheit unterschiedlich betroffen. Der Autor spekuliert, dass die Schlüsselrolle des prefrontalen Cortex, speziell der orbito-frontalen Bereiche, in der inhibitorischen Kontrolle des Verhaltens für das Defizit in der Kontrolle der inneren Verbalisierung verantwortlich sein kann. In diesem Zusammenhang zeigten funktionelle Kernspintomographien von Tourette Syndrom-Patienten ein Defizit bezüglich der Aktivierung dieser Bereiche während Ihrer Tics. Es wäre von großem Interesse, die Frequenz einer Schwierigkeit des leise Lesens in Tourette Syndrom-Patienten mit der in gesunden Personen zu vergleichen.

Bei der Beantwortung dieser zentralen Frage könnte der sogenannte Stroop-Test hilfreich sein. Bei diesem neuropsychologischen Test wird der Patient aufgefordert die Farbe zu benennen, in der der Name der Farbe geschrieben ist. Die Diskrepanz zwischen der Farbe des geschriebenen Wortes und dem gelesenen Namen der Farbe kann die Fähigkeit des Patienten fordern, korrekterweise das Lesen zu inhibieren (z.B. das Wort „blau“) um eine andere Farbe zu nennen (z.B. “rot“) wenn das Wort „blau“ rot geschrieben ist

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unfähigkeit leise zu lesen eine Störung in der prefrontalen inhibitorischen Steuerung in bezug auf verbale Äußerungen der inneren Sprache vermuten lässt. Weitere Untersuchungen sind vonnöten um diese Hypothese zu stützen.

Quelle:
Service de Neurologie, CHU Grenoble, 38043 Grenoble cedex 9, France.
2007