Termin: 30.10.24 – 03.11.24
Veranstaltungsort: Freizeithaus Engel in 55494 Rheinböllen
Termin: 01.12.24 – 02.12.24
Veranstaltungsort: Tonstudio Kollektiv Neckarstudios in 71686 Remseck bei Ludwigsburg
Man nehme sechzehn Menschen mit Tourette-Syndrom, darunter zwei Profis – heraus kommt ein kraftvoller Song „Jetzt und für immer“.
Die „Musikwerkstatt TICS“. bot sowohl Anfängern als auch fortgeschrittenen Musikern die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu erweitern und neue Techniken zu erlernen oder einfach nur Musik zu genießen. Der Workshop, unter der Moderation der beiden Musiker Jean-Marc Lorber und Benjamin Jürgens, war ein voller Erfolg.
In dem abgelegenen, naturnahen Selbstversorgerhaus Freizeithaus Engel gab ausreichend Zimmer, so dass beinahe jeder ein Zimmer für sich allein hatte – bei Menschen mit dem Tourette Syndrom bietet dies Raum für Rückzug, denn das bedeutet auch zur Ruhe kommen zu können. Nachdem jeder sein Zimmer bezogen hatte, begannen wir am frühen Nachmittag mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Es wurde das Konzept vorgestellt und erklärt, dass der Workshop darauf abzielte, die kreativen Potenziale der Teilnehmer zu fördern und ihnen zu zeigen, wie sie Musik als Entspannungs- und Ausdrucksmittel einsetzen können. Dabei ging es weniger um Technik, sondern um das Zusammenspiel der Gruppe und das Entwickeln eigener Ideen sowie um den Erfahrungsaustausch zum Tourette Syndrom.
Die Teilnehmer konnten bereits am ersten Abend verschiedene Instrumente ausprobieren, darunter Cajón, Keyboard oder das Monochord mit dem Klang „Himmel und Hölle“. Manch einer hatte auch Lust auf Singen, andere nutzen die Zeit für den Austausch am offenen Kamin.
Der zweite Teil widmete sich der Improvisation durch Jammen und Experimentieren. Dabei spielten die Musiker ohne feste Struktur und experimentierten miteinander. Auf diese Weise wurden die passende Stimmung und Struktur für den Song gefunden. Das Ziel war es, gemeinsam etwas zu schaffen, das sich gut anfühlt und sich natürlich entwickelt.
Parallel zur musikalischen Entwicklung wurde an den Texten gearbeitet. Alle Mitglieder der Gruppe sammelten Ideen. Schnell war klar, es sollte ein positiver Toleranzsong entstehen. Aus der Gruppe fanden sich geschwind ein paar Texter, die sich zusammensetzen, um die Strophen und den Refrain zu entwickeln.
Am Samstag begannen wir, den Text und das musikalische Grundgerüst mit allen Teilnehmern zusammenzufügen. In dieser Phase ging es an die Feinheiten. Hier kamen Details wie Harmonieaufbauten, Soli-Gesang, Instrumentierungen und besondere Übergänge ins Spiel. Auch die Dynamik (also wie laut oder leise bestimmte Passagen gespielt werden) wurde festgelegt. In dieser Phase wurde der Song also quasi „aufpoliert“, es wurde geprüft, ob alles gut zusammenpasst und ob der Song den gewünschten Effekt erzielt.
Während der darauffolgenden Proben wurden noch spontane Ideen eingebaut, und es waren sich alle einig, der Song funktioniert in der Probe. Nun ging es an die Aufnahme. Mit Aufnahmetechnik wurden die verschiedenen Instrumente und Vocals vor Ort aufgenommen.
Der Samstagabend endete mit einer kurzen Präsentation des erarbeiteten Songs.
Die Musikwerkstatt bot nicht nur neue musikalische Einsichten, sondern auch eine wertvolle Gelegenheit, sich mit anderen Musikbegeisterten auszutauschen und voneinander zu lernen.
Insgesamt war die Veranstaltung eine großartige Erfahrung, die den Teilnehmern zeigte, wie vielseitig, erfüllend und verbindend Musik sein kann.
In der abschließenden Reflexionsrunde gab es neben den positiven Erfahrungen bei einigen Teilnehmern auch Unzufriedenheiten zur Selbstversorgung. die tatsächlich zu viel Zeit in Anspruch genommen und einen klaren Küchen- oder Haushaltsplan erfordert. Für die Zukunft würden wir die Musikwerkstatt „TICs“ wieder in einer Jugendherberge durchführen.
Unsere Musiker und die Solosänger trafen sich Anfang Dezember nochmals in Ludwigsburg, um die Spuren professionell im Kollektiv Neckarstudios mit Marius Kirsten, Filmmusikkomponist/Musikproduzent aufzunehmen. Danach erfolgte der Mix, bei dem alle aufgenommenen Spuren (Instrumente, Gesang, Effekte) zusammengefügt und in der richtigen Balance gebracht wurden. Hier wurde dann auch entschieden, welche Teile des Songs betont und welche zurückgenommen werden. Beim Mastering dann wurde der Song finalisiert, um ihn für die Veröffentlichung vorzubereiten.
Wir kennen es bereits aus unseren anderen Veranstaltungen – während des Musizierens an den Instrumenten bzw. beim Singen haben die Betroffenen keine Tics. Musik ist keine „Heilung“ für Tics, aber ein ganz wunderbares Werkzeug, um Entlastung und Freude zu schaffen. Musik fordert die Aufmerksamkeit und lenkt von den Tics ab, da das Gehirn mit der Verarbeitung von Melodie und Rhythmus beschäftigt ist. Singen, Tanzen oder das Spielen eines Instruments kann die Konzentration so intensiv fordern, dass weniger Raum für Tics bleibt.
Musik hat eine einzigartige Fähigkeit, Gemeinschaft und Verbundenheit zu fördern. Durch Musik interagieren Menschen miteinander, ohne dass Worte notwendig sind.
In diesem Sinne beendeten wir zwei sehr intensive, schöne und erfolgreiche Projekt-Wochenenden.
Unseren besonderen Dank möchten wir der Amadeu Antonio Stiftung aussprechen. Dank der Spende im Zusammenhang mit Spendengewitter für Jenny – Antisemitismus ist kein Witz konnten wir dieses Projekt durchführen.
Songtext „Jetzt und für immer“
So wie der Wind, der durch die Bäume weht,
an seinen Ästen nur die Blätter trägt.
Sprechen Menschen laut über mich,
doch verlieren ihre Worte sich.
Positives ist zurückgekehrt,
bin im ganzen unversehrt.
Weiß nun wirklich, was wichtig ist,
Zuversicht, die Sorgen frisst.
Mein Herz in mir ticct breit und laut,
so dass niemand sich ein Urteil traut.
Lebenslust steht nun im Vordergrund
Jetzt und für immer!
Das Selbstbewusstsein ist mein Fundament,
und ein jeder, der mich von früher kennt,
ist erstaunt über meinen Wandel,
es gibt kein Kompromiss, es gibt kein Handel.
Bin schon so lang allein, das heißt nicht einsam sein.
Bin kurz mal abgetaucht, hab diese Zeit gebraucht.
Bin kurz mal ausgeticct, hab meine Angst erstickt,
jetzt bin ich wieder da, nun ist mir vieles klar.