vom 29. Juli 2016 ‐ 01. August 2016
Christliches Begegnungszentrum Aichenbach gGmbH in 73614 Schorndorf
Der Workshop für Familien wurde im Rahmen der Selbsthilfeförderung von der Techniker Krankenkasse unterstützt.
Am letzten Juliwochenende in Schorndorf, etwa 30 km von Stuttgart entfernt, quasi mitten im Wald idyllisch gelegen, trafen sich 43 Teilnehmer zum diesjährigen 8. IVTS-Workshop für Familien mit Tic & Tourette betroffenen Kindern.
Die Ankunft am Freitagvormittag war geprägt von bisweilen großer Wiedersehensfreude, was das Eis schnell zum Schmelzen brachte auch für die, die das erste Mal dabei waren. Manche Ankunft war aber auch emotional durchaus holprig, was sich im Laufe des Wochenendes aber gut gelöst hat. Das gemeinsame Essen zu Mittag und die darauffolgende Kennenlernrunde im Saal, welche von den Erlebnispädagogen des NEW-Institut Mainz initiiert wurde, trug dazu bei, dass sich die Teilnehmer einander kennenlernen.
Als Warm Up wurden verschiedene Gruppenspiele angeboten wie „das schnellste Spiel der Welt“, „der Namensball“ oder „der Kuhstall“, was spontan und mit Freude aufgegriffen wurde. Das Kennenlernen wurde mit Elementen der Selbst- und Fremdeinschätzung spielerisch in lebhafter Gruppendiskussion untermauert, mit einem sogenannten 4-Ecken-Soziogramm (wie weit war die Anreise, welche Sportart bevorzugt ihr, was mach ihr in eurer Freizeit, spielt ihr ein Instrument?).
Um die Wünsche und Erwartungen der Teilnehmer heraus zu kitzeln, wurde die Aufgabe, ein sog. „LandArt“ zu erstellen, vorgeschlagen, welches die eigene Familie vorstellen und die Wünsche und Erwartungen an das Wochenende darstellen sollte. Es wurde rege angenommen und dabei entstanden wahre Kunstwerke aus im Wald gefunden Blättern, Ästen, Moos, Steinen etc. welche vor Ort im Wald und auf den Wegen stationsweise präsentiert wurden – es war wirklich beeindruckend, welch Kreativität mit so einfachen Mitteln zu Tage tritt.
Den Kindern wurden später verschiedene Workshops angeboten, wie „Henna malen“, „Chinese Football“, „Feuerworkshop am Lagerfeuer“. Auch mit den Kindern selbst angerührter Crêpes-Teig wurde am Feuer verbacken und die Lagerfeuerstimmung am Abend mit Spielen, herumliegen, Gesprächen, sowie Gitarre spielen und Gesang rundeten den ersten Tag für alle ab.
Es war beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit die Kinder mit ihrer Tourette-Symptomatik untereinander umgehen und Erwachsene damit gemeinsam gut zurechtkommen – wenn auch ein genervter Anwohner etwas für Unmut sorgte, was sich aber im Laufe des Wochenendes mit ein wenig Eskalation und Deeskalation lösen lies – wir hatten immerhin wortgewandte Erwachsene und einen Polizisten als Elternteil an Bord. Auch diese Erfahrung war für einige durchaus wichtig, da es bisweilen den Alltag mancher widerspiegelt.
Am Abend fand parallel zum Kinderprogramm eine Gesprächsrunde mit Herrn Prof. Dr. Michael Orth vom Uniklinikum Ulm statt, welches als sehr konstruktiv, ausführlich und erkenntnisreich wahrgenommen wurde. Speziell genetische und autoimmunerge Ursachen des Tourette Syndroms wurden diskutiert. Welche Hilfsangebote wie z. B. Sprechstunden stehen zur Verfügung und wie unterstützen diese und der IVTS Betroffene in ihrer Schul-, Arbeits- und Lebenswirklichkeit. Die zwei Stunden lebendiges Gespräch über diese Themen sowie über Studienergebnisse und den aktuellen Stand der Forschung wurden von den Beteiligten als konstruktiv und hilfreich angesehen, zumal auch weiterer Kontakt bei Fragen angeboten wurde und danach noch lange ausführlich darüber gesprochen wurde.
Der Samstag stand ganz unter dem Motto „gemeinsam Natur erleben, Natur erfahren“. Reaktions- und Konzentrationsübungen standen ebenso auf dem Programm wie phantasieanregende Spiele z.B. „Orks und Elfen“ und Elemente der Körpererfahrung z. B. „Kneipen im Kneipbecken“ oder das Reaktionsspiel „Fuß-Impulse“. „Crossgolf“, „Turmbau“, „Murmelbahn bauen“ gehörten über den Tag verteilt natürlich neben Fußball und genug Zeit auch mal ganz was Eigenes zu tun zum Programm. Am Abend freuten sich die meisten sehr über eine Fortsetzung des ersten Lagerfeuerabends.
Diesmal neben „Henna malen“ mit „Stockbrot“, was sehr sehr gut bei den Kids und den Erwachsenen ankam, zumal der Umgang mit dem Feuer erstaunlich beruhigende Wirkung zeigte.
Am Sonntagvormittag gab es die „50-Minuten-Wette“, bei der diverse Aufgaben in Gruppen zu lösen waren, Aufgaben wie z. B.: „Bastelt einen Teddybär aus Müllbeuteln“, „nummeriert eine Klopapierrolle durch“, „macht 150 Liegestütze“, „bastelt 10 Origami“, „schneidet 12 dreizehnzackige Sterne aus“, „lackiert 60 Fingernägel“ etc. Insgesamt mussten etwa 30 Aufgaben in einer knapp bemessenen Zeit erledigt werden. Alle Teilnehmer waren voll beschäftigt und führten zu sehr tollen Ergebnissen. ALLE Aufgaben wurden von der Gruppe erfolgreich gelöst. Nach einer Reflektions- und Statementrunde kamen die Erlebnispädagogen zum Ende ihres Programms. Als Idee für nächstes Jahr wurde unter anderem eine Schnitzel-GPS-Tour gewünscht.
Nach der Verabschiedung der netten Erlebnispädagogen vom NEW Institut übernahm am Nachmittag Jean-Marc Lorber das Angebot eines Musikworkshops, was mit großer Begeisterung aufgegriffen wurde. Auf allen möglichen Eimern und als Schlaginstrumente verwendbare Utensilien wurde erst einmal spielerisch ein gemeinsamer Rhythmus gefunden. Dann wurde mit Klavierimprovisation begonnen und langsam aber sicher konnte eine Soundstruktur herausgearbeitet werden. Nach einer Pause wurde daraufhin nach Worten gesucht, die Stichwortartig notiert wurden und dann zusammen mit einigen Kindern zu einem Text formuliert werden konnten. Als dann klar war, was hier gewachsen ist, konnte Rhythmus, Klang, Struktur und Text zusammengebracht werden und es wurde fleißig rauf und runter gespielt, damit die für den nächsten Morgen geplante Aufführung vor allen auch gut klappt. Der letzte Abend klang wieder sehr schön am Lagerfeuer aus mit Knapperzeug und vielen Gesprächen.
Der Montag war nach dem Frühstück mit der Schlagwerk-Klavier-Rap-Nummer sehr lebendig, der Song kam gut an und wurde voller Stolz von allen Beteiligten präsentiert und per Video aufgezeichnet. An die Zeit des Packens und Aufräumens schloss sich eine kleine Abschluss- und Feedbackrunde an. Der Abschied war sehr herzlich und die eine oder andere Träne wurde verdrückt. Summa summarum war der Workshop sehr gelungen und es wurde mehrfach der Wunsch nach Fortsetzung geäußert.
Fürth, 19.08.2016
Rudolf J. Bachmaier